UNO: Probleme, Kritik, Reform

Der folgende Text basiert auf einem einleitenden Text aus dem D@dalos-Online-Lehrbuch zu den Vereinten Nationen (siehe hier), das ich vor nunmehr 16 Jahren veröffentlicht habe. Dass man diesen Text heute noch verwenden kann, sagt viel über den bescheidenen Erfolg der Reformbemühungen aus. Es ging damals um eine problemorientierte Bilanz: Konnten die Vereinten Nationen die in sie gesteckten Erwartungen erfüllen? In welchen Bereichen blieben sie hinter den Erwartungen zurück?

Die Beschäftigung mit der UN-Geschichte hat gezeigt, dass es bei der Erfüllung der zentralen Aufgabe, der Sicherung des Friedens, immer wieder zu schwerwiegenden Krisen kam (eine davon, das Massaker von Srebrenica, jährt sich gerade zum 25ten Mal, siehe voriger Beitrag). Es hat sich auch gezeigt, dass die Vereinten Nationen zwar seit den 1960er Jahren das wichtigste Forum zur Bearbeitung des Nord-Süd-Konflikts bilden, dass aber die Fortschritte bei der Entschärfung der Konflikte zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bescheiden blieben.

Gleich an mehreren Stellen kam ein häufig genannter Kritikpunkt am weit verzweigten System der Vereinten Nationen zur Sprache, nämlich die mangelnde Koordinierung der Aktivitäten und die daraus resultierende mangelnde Effizienz der Arbeit. Nicht zuletzt deswegen haben die USA als größter Beitragszahler immer wieder dadurch Druck auszuüben versucht, dass sie ihren Beitragsverpflichtungen nicht nachkamen, was auf ein weiteres schwerwiegendes Problem der Vereinten Nationen verweist, die notorische Finanzknappheit.

Insgesamt klafft eine Lücke zwischen den Zielen und Grundsätzen der UN-Charta und der politischen Realität, wie die pointierte Gegenüberstellung von Gareis und Varwick in der folgenden Tabelle aufzeigt:

Ziele und Grundsätze der Charta
Politische Realität
souveräne Gleichheit aller Mitgliedstaaten
ausgeprägtes Machtgefälle zwischen Staaten und Regionen
Erfüllung der mit der VN-Charta übernommenen Verpflichtungen
Verweigerungen von Beiträgen und Leistungen je nach nationaler Interessenlage
Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung
allgegenwärtige Gewalt im internationalen System
allgemeines Gewaltverbot
praktiziertes Recht einzelner Staaten auf unilaterale Gewaltanwendung
Weltfrieden und internationale Sicherheit als kollektive Aufgabe aller Mitgliedstaaten
Interessendominanz der Industriestaaten und vergessene Konflikte in Entwicklungsländern
Verbot der Einmischung in innere Angelegenheiten der Mitgliedstaaten
Globalisierung grundlegender Probleme erzwingt Erosion staatlicher Souveränität
[aus: Sven Gareis/Johannes Varwick, Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen; Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Band 403, Bonn 2003, S. 302]

Diese Defizite allerdings allein der Organisation der Vereinten Nationen anzulasten, ginge an der Realität vorbei. Die Vereinten Nationen sind eine klassische internationale Organisation, Staaten sind ihre Mitglieder. Wie jede internationale Organisation sind die Vereinten Nationen nur so stark, wie es ihre Mitglieder zulassen. Der Wille zur multilateralen Problemlösung seitens der Mitgliedstaaten - inbesondere der mächtigsten Staaten - entscheidet über den Erfolg oder Misserfolg der Arbeit.

Das gilt es zu bedenken, wenn ein angemessenes Bild der Vereinten Nationen gezeichnet werden soll. Ein Teil der Kritik an der Weltorganisation gebührt eigentlich den sie tragenden Staaten. Hinzu kommt ein weiterer Aspekt, der ebenfalls überzogene Kritik zu relativieren geeignet ist, nämlich die unrealistischen Erwartungen an die Vereinten Nationen. Manch eine Kritik an der Arbeit der Organisation scheint von der irrigen Annahme auszugehen, dass es sich bei den Vereinten Nationen um eine Art Weltregierung handelt.

Nach einer kurzen Abhandlung über die Geschichte der Weltorganisation kommt Volger zu dem Schluss: "Wenn die Vereinten Nationen Schwierigkeiten in der Friedenssicherung und der Lösung der anderen globalen Probleme hatten und haben, lag und liegt das nicht an den Strukturen der Vereinten Nationen - sie haben sich als flexibel und effektiv genug erwiesen -, sondern an der Uneinigkeit der Mitgliedstaaten und an ihrer mangelnden Bereitschaft, die entsprechenden politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen durchzuführen."
[aus: Helmut Volger, Zur Geschichte der Vereinten Nationen; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 42/1995, Bundeszentrale für politische Bildung Bonn, S. 12] 

Trotzdem - und dies ist ein weiteres Problem, vor denen die Vereinten Nationen stehen - muss festgehalten werden, dass die Weltorganisation ihre Mitgliederzahl seit der Gründung fast vervierfacht und ihre Aufgabenbereiche erheblich ausgedehnt hat, ohne dass grundlegende Änderungen an der Charta vorgenommen worden wären. Sie spiegelt nach wie vor die weltpolitische (Ausnahme-) Situation gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wider und wirkt zunehmend anachronistisch.

Die UNO ist "von einer Organisation, die in erster Linie den Krieg als Mittel der Politik ächten sollte, ... zu einem globalen Forum geworden, in dem alle grundlegenden Weltprobleme diskutiert und zum Teil einer Lösung näher gebracht werden. In der internationalen Politik besteht ... weitgehender Konsens darüber, dass die Vereinten Nationen reformiert werden müssen, weil Strukturen und Verfahren nicht mehr den weltpolitischen Realitäten des 21. Jahrhunderts entsprechen. Gleichzeitig wird von den Vereinten Nationen zunehmend das Füllen einer ordnungspolitischen Lücke in der globalisierten Welt verlangt, und dieser Widerspruch zwischen den realen Möglichkeiten und den hochgesteckten Erwartungen erzeugt ein Klima der Überforderung und bewirkt oft ungerechte Bewertungen der wichtigen Arbeit der Vereinten Nationen."
[aus: Johannes Varwick, Vereinte Nationen; in: Wichard Woyke (Hg.), Handwörterbuch Internationale Politik, 8. Auflage, Bundeszentrale für politische Bildung Schriftenreihe Band 404, Bonn 2000, S. 496]

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