Kinderrechte unterrichten mit Astrid Lindgren

Unterrichtsmaterial zum Thema Menschen- und Kinderrechte – am Vorbild einer Erzählung Astrid Lindgrens

Die Figuren, die Astrid Lindgren in ihren Texten erschuf, erzählen Geschichten über die Kindheit, über Freundschaft, Abenteuer, Zusammenhalt und vieles mehr. Das Besondere daran ist, dass dabei Kinder in die Rolle der Protagonisten und Protagonistinnen schlüpfen und die Welt aus ihren Augen sehen. Für die Zeit, in der Lindgren lebte, war dies ungewöhnlich, was ihre Bücher schnell erfolgreich machte. In diesem Blog Post erfährt man mehr über das Leben und Wirken Astrid Lindgrens.

Es ist nicht lange her, dass sich der Blick auf Kinder gewandelt hat. Lange Zeit galten Kinder als noch nicht vollwertige Menschen, Erwachsene fühlten sich ihnen überlegen, weshalb eine rechtliche Gleichstellung zu dieser Zeit undenkbar war. (vgl. Maywald 2010)

Erst im Jahr 1959 wurden Kinder international als Träger eigener Rechte anerkannt, als die UN-Vollversammlung die „Deklaration über die Rechte der Kinder“ verabschiedete. Sie gilt als Vorläufer der heutigen UN-Kinderrechtskonvention.

Zum Zeitpunkt ihrer Verabschiedung ist Astrid Lindgrens Buch „Pippi Langstrupf“ schon weltbekannt. Es erscheint 10 Jahre vor der „Deklaration über die Rechte der Kinder“. Ein Buch über ein ungewöhnliches Mädchen, das sehr selbstbewusst und selbstbestimmt lebt.

Mit ihrer Überzeugung, dass Kinder gleichwertig wie Erwachsene sind und es sich lohnt, ihre Perspektive einzunehmen, ist Lindgren nicht allein. Ihre Haltung deckt sich mit der Überzeugung derer, die sich für Kinderrechte einsetzen. Diese sollen die Menschenrechte auch aus der Perspektive der Kinder darstellen. 1989 wird die UN-Kinderrechtskonvention verabschiedet, sie sieht die Kinder als vollwertigen Rechtsträger, stellt diese aber unter besonderen Schutz, da sie auf Erwachsene angewiesen sind und deshalb als besonders schutzbedürftig gesehen werden.

Die Unterrichtsstunden und das Material wurde für Klasse 3/4 der Grundschule erarbeitet.
  • In der ersten Stunde lernen die SuS, dass es Menschen- und Kinderrechte gibt.
  • Die zweite Stunde schließt inhaltlich daran an. Die SuS setzen sich mit dem Thema Kinderrechte genauer auseinander und lernen ein Kinderrecht genauer kennen.
Da Lindgren eine bemerkenswerte Vordenkerin für die Rechte von Kindern war, orientieren sich die zwei entworfenen Unterrichtsstunden an ihrem Vorbild. „Astrid Lindgren wünschte sich für die Kinder und für alle Menschen auf der Welt eine gerechte Gesellschaft.“ (Weitendorf 2014) Ihr Streben nach Gerechtigkeit und ihre Überzeugung von der Gleichwertigkeit aller Menschen macht sie zweifelsohne zu einem Vorbild. Anhand der von Lindgren entworfenen Figur „Michel aus Lönneberga“ sollen sich die SuS mit der Vorbildfunktion der Figuren Lindgrens auseinandersetzen. Anhand einer typischen Szene, in der Lindgren ihren Protagonisten nach ihren eigenen Wertevorstellungen handeln lässt, wird der Hauptcharakter für die SuS eingeführt. Darin lädt Michel alle armen Leute zu sich nach Hause ein, so dass sie sich einmal satt essen können.

„Empathie zu haben für die, die schwächer sind, mitzufühlen, wenn sie leiden“ (ebd. 2014), ist eine der Tugenden, die Astrid Lindgren antreibt. Aber Michel sieht auch, dass alle Menschen gleich viel wert sind und das die extreme Ungleichheit zwischen den Menschen nicht gerecht ist. So kann Michel, als der Träger der Überzeugungen Astrid Lindgrens, zum Vorbild für die SuS werden.

Wer die Geschichten von Michel aus Lönneberga kennt, weiß, dass dieser keinesfalls ein sogenannter „Musterknabe“ ist. Er ist ein fröhlicher, aufgeweckter Junge, der viele Flausen im Kopf hat und das, was ihm gerade einfällt, gerne ausprobiert. Das endet meist darin, dass die Erwachsenen in der Geschichte meinen, Michel habe mal wieder etwas angestellt. Er ist also weder perfekt, noch handelt er immer richtig und fehlerfrei. Da sicherlich viele Kinder die Geschichten von Michel aus Lönneberga kennen, ist er als Vorbildfunktion besonders ansprechend. Die Geschichten Lindgrens kommen ohne einen erhobenen Zeigefinger aus. Denn Michel ist einfach ein Kind, wie die SuS selbst.

Die Menschen- und auch die Kinderrechte lassen sich von vielen Perspektiven beleuchten und interpretieren. Der Ansatz, dass jeder Mensch, alleine durch sein Menschsein, diese Rechte besitzt, zeichnet sich durch seinen normativen und moralischen Blick auf die Menschenrechte aus. (vgl. Haspel 2005, S. 5) In seiner Biographie über Astrid Lindgren beschreibt der Journalist und Literaturkritiker Jens Andersen, dass die Autorin genau diese Perspektive in ihren Geschichten über Michel aus Lönneberga verarbeitet hat: „Es sind die Mahnungen an den moralischen Mut des Menschen“ (Andersen 2014, S. 5) 

Aufbau und methodisch didaktische Einbettung der Stunden

Die Materialien für SuS sowie für Lehrpersonen und ein ausführlicher Ablaufplan zur jeweiligen Stunde sind diesem Blogpost als PDF-Dateien angehängt. Darüber hinaus sind am Ende des Beitrags Weblinks zu Seiten mit weiteren Materialien zum Thema Menschen- und Kinderrechte gesammelt. 

Stunde 1: Menschen- und Kinderrechte

Diese Stunde ist als Einführung konzipiert. Die Lehrperson erzählt zu Beginn eine Geschichte von Michel aus Lönneberga, der Titel im Original lautet: Montag, der 26. Dezember, als Michel „das große Aufräumen von Katthult veranstaltete und die Maduskan in der Wolfsgrube fing“. (Hinweis: Die wichtigsten Stichpunkte sind zusammengefasst im Material für Lehrpersonen zu finden. Im Buch: „Michel muss mehr Männchen machen“ oder dem Sammelband „Immer dieser Michel“ des Oetinger Verlags kann man die ganze Geschichte nochmals nachlesen. Sie ist auch als Hörspiel erschienen, dieses kann, alternativ zum Erzählen, den SuS vorgespielt werden.)

Im anschließenden Stuhlkreis dienen drei Zitate aus der Geschichte als Diskussionsanlass. Jeder dieser Ausschnitte zeigt einen Missstand auf, der gegen den Grundsatz der Menschenrechte, der Gleichwertigkeit aller Menschen, verstößt. Diese werden in der Diskussion herausgearbeitet und zur Veranschaulichung für die SuS mit einem Symbol versehen. Michel, der die Missstände sieht und nicht einfach so hinnimmt, schlüpft für die SuS in eine Art Vorbildcharakter, da er das Fehlverhalten aufdeckt und sich dagegen einsetzt. Die SuS, die durch die drei präsentierten Zitate aus der Geschichte für das angesprochene Fehlverhalten sensibilisiert sind, erfahren nun, dass es Menschen- und Kinderrechte gibt, um vor Machtmissbrauch und ausnützendem Fehlverhalten geschützt zu sein.

Als Ergebnissicherung werden in einem Lückentext die wichtigsten Aspekte der Stunde wiederholt. Zum Abschluss der Stunde wird das Lied der Sternsinger 2017 „Ein Kinderleben lang“, in dem es um Kinderrechte geht, gesungen (Hinweis: Hier der Link zum YouTube-Video des Liedes). Das Lied kann als Ausblick auf die kommende Stunde genutzt werden, in der näher auf das Thema Kinderrechte eingegangen wird.

Für diese Einführung des Themas Menschen- und Kinderrechte eignet sich die Figur Michel aus Lönneberga besonders, da sie vielen SuS aller Voraussicht nach schon bekannt ist. Nicht nur, dass Michel aus Lönneberga selbst eine Rolle als potenzielles Vorbild übernimmt, ist dabei für die Auswahl des Textes ausschlaggebend, als bereits bekannter Charakter kann er den SuS dabei helfen, sich auf das durchaus komplexe Thema der Menschen- und Kinderrechte einzulassen.

Erzählungen, die beispielsweise von Kindern auf der Flucht, im Krieg oder in Armut berichten, könnten verstörend oder zu plakativ auf die SuS wirken, sodass sie sich für das Thema verschließen. Das bedeutet nicht, dass SuS so etwas nicht zugemutet werden darf, als Einstieg sollte eben eher die eigene Lebenswirklichkeit der SuS fokussiert werden.

Die Idee der Stunde setzt im Kern am dreifachen Imperativ der Menschenrechtsbildung an:
  • eigene Rechte kennen
  • eigene Rechte verteidigen
  • die Rechte anderer Menschen verteidigen
In der Unterrichtsstunde lernen die SuS, dass es Menschen- und Kinderrechte gibt und welchen Zweck sie erfüllen sollen, nämlich den Menschen zu schützen. Dies ist die Grundvoraussetzung für das Kennen und In-Anspruch-nehmen der eigenen Rechte. Durch das Handeln von Michel in der Geschichte wird auch der dritte Aspekt deutlich. Andersen stellt fest, dass die Geschichten von Michel den Menschen aufzeigt, was diese nie vergessen sollten „das für andere zu tun, von dem wir es uns wünschen, dass andre es für uns täten.“ (Andersen 2014, S. 328)

Schlussendlich leistet diese Stunde, wie auch die folgende, einen Beitrag zur Begleitung der SuS in ihrer politischen Mündigkeit. Dabei wird Wissen über politische Besonderheiten, wie beispielsweise Menschen- und Kinderrechte, vorausgesetzt. Gleichzeitig gilt diejenige Person als politisch mündig, die politisches Verantwortungsbewusstsein besitzt. Dabei geht es, passend zum Thema Menschenrechte, auch um moralisches Verantwortungsbewusstsein gegenüber einem demokratischen Gemeinwesen (vgl. Detjen 2007, S. 214).

Solche demokratischen Grundordnungen fußen unter anderem auf den Prinzipien der Menschenwürde und somit richtet sich politisches Verantwortungsbewusstsein im Sinne der Mündigkeit auch auf die Menschen- und Kinderrechte. Politisches Engagement ist dabei eine der Qualitäten, mit denen der Politikwissenschaftler Detjen die politische Mündigkeit beschreibt. (vgl. ebd.) Dieses lässt sich im Rahmen des Unterrichts nur anbahnen, Engagement für Menschen- und Kinderrecht nimmt dabei jedoch sicherlich einen hohen Stellenwert ein.

Im Bildungsplan des Bundeslandes Baden-Württemberg lässt sich die Stunde unter dem Thema 3.2.1 „Demokratie und Gesellschaft“ und im Unterthema 3.2.1.4 „Politik und Zeitgeschehen“ im Fach Sachunterricht verorten. Die Teilkompetenz, welche angebahnt wird ist: „zentrale ausgewählte Grund- und Kinderrechte beschreiben und auf konkrete Situationen in Deutschland und anderen Ländern übertragen“. (Ministerium für Kultus Jugend und Sport Baden-Württemberg 2016, S. 36) 

Stunde 2. Kinderrechte und das „Recht auf Freizeit, Spiel und Erholung“

Grundidee dieser Stunde ist es, näher auf das Thema Kinderrechte einzugehen und eines dieser Rechte zu vertiefen. Dies kann als Auftakt für eine Einheit genutzt werden, in der sich die Klasse mit verschiedenen Kinderrechten beschäftigt. Die Stunde baut auf der ersten Unterrichtstunde auf. Die Klasse steigt gemeinsam mit dem Lied ein, das in der Stunde zuvor bereits erlernt wurde. (Lied: Ein Kinderleben lang)

Anhand eines Filmes, der das Thema Kinderrechte kurz zusammenfasst und erklärt, können die SuS ihr Wissen aus der vorherigen Stunde auffrischen. (Film) Anschließend erinnern sich die SuS nochmals an die Geschichte von Michel aus Lönneberga und gehen mit der Lehrperson auf den Aspekt ein, dass Michel auch Freizeit hatte und spielen konnte. Hierzu kann die Lehrperson, wie im Ablaufplan beschrieben, die SuS fragen, was passiert wäre, wenn Michels Eltern ihm ganz viele Arbeitsaufträge gegeben hätten, bevor sie gegangen wären. Das Ziel des Unterrichtsgespräches ist es, dass die Kinder erfahren, dass es ein Recht auf Freizeit, Spiel und Erholung gibt.

Im Anschluss basteln die SuS aus vorher zurechtgeschnittenen Papierstreifen ein kleines Heft. Dieses könnte eine mögliche Unterrichtseinheit begleiten. Die Kinderrechte sind dazu in zehn übergeordneten Grundaussagen zusammengefasst. Für jede ist eine Seite im selbstgebastelten Heft gedacht. Dazu gibt es im angehängten Material eine Kopiervorlage, auf der sich zu jedem Recht ein passender Text befindet.

Die Kinder bekommen das Blatt mit dem Text zum Recht auf Freizeit, Spiel und Erholung und kleben es in ihr gebasteltes Kinderrechte-Heftchen. Indem die SuS das Recht noch einmal in ihren eigenen Worten zusammenfassen, haben sie die Möglichkeit, den Inhalt der Stunde noch einmal zu reflektieren und zu überprüfen, ob sie den Sinn des betreffenden Menschenrechts verstanden haben. Andernfalls könnten die SuS auch zeichnerisch darstellen, was das jeweilige Recht für sie bedeutet. Um die Stunde abzuschließen, kann die Klasse noch einmal gemeinsam das Kinderrechtslied singen.

Das Recht auf Freizeit, Spiel und Erholung eignet sich zur Vertiefung, da es einen sehr starken Lebensweltbezug für die SuS hat. Jeder der SuS wird täglich Zeit zum Spielen und Sich-erholen haben. Dass es dieses Recht gibt, zeigt ihnen aber auch, dass dies nichts Selbstverständliches ist. Eine Herausforderung ist dabei, dass es nicht bedeutet, nur noch Freizeit zu haben, weil dieses Recht existiert, sondern dass es wichtig ist, sich erholen zu dürfen, nachdem man etwas geleistet hat.

Die Geschichte von Michel wird auch hier wieder als Diskussionsanlass gesehen. Kinder, die die Geschichten von Michel aus Lönneberga bereits kennen, werden außerdem wissen, dass er ab und zu auf dem Hof seiner Eltern hilft, aber auch Zeit zum Spielen hat. Durch die Frage „Was wäre, wenn Michel die ganze Zeit arbeiten müsste?“ kann die Lehrperson aufzeigen, wie wichtig es ist, auch einmal Freizeit zu haben. Die SuS kommen so zu dem Schluss, dass sonst keine Zeit zum Spielen bleibt und es auch anstrengend ist, wenn man die ganze Zeit ohne Pause arbeitet.

Auch in dieser Stunde lässt sich die Mündigkeit zum politischen Verständnis anbahnen, wie in den Ausführungen zu Stunde 1 beschrieben. Und ebenso lässt sie sich, wie die erste Stunde, im Bildungsplan verorten.

Um zum Schluss nochmals auf Astrid Lindgren zurückzukommen, lässt sich feststellen, dass ihr Leben stark durch ihre eigene Kindheit geprägt war, in der sie, wie sie es selbst beschreibt, viel Zeit zum Spielen hatte. Insofern wäre das behandelte Kinderrecht mit Sicherheit auch im Sinne der Autorin.

Materialien zum Download

Stunde 1 
Stunde 2 

Links

Dieses Plakat mit der Zusammenfassung der Kinderrechte für das Klassenzimmer lässt sich kostenlos bei der Bundeszentrale für Politische Bildung bestellen:
Auf diesen ausgewählten Seiten gibt es kostenloses Material zum Downloaden und Anregungen zum Thema Kinderrechte für den Unterricht in der Grundschule:

Literatur
  • Andersen, Jens (2014): Astrid Lindgren. Ihr Leben. München: Pantheon
  • Detjen, Joachim (2007): Politische Bildung. Geschichte und Gegenwart. Oldenburg
  • Haspel, Michael (2005). Menschenrechte – Eine Einführung. In: Fritzsche, K. Peter (2005), Die Macht der Menschenrechte und die Schlüsselrolle der Menschenrechtsbildung; in: Der Bürger im Staat 1-2/2005, S. 64-70
  • Lindgren Astrid (1988): Immer dieser Michel. Hamburg: Oettinger
  • Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg in Zusammenarbeit mit dem Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Stuttgart (Hrsg.), (2016): Bildungsplan Sachunterricht – Grundschule. Stuttgart
  • Maywald, Jörg (2010): UN-Kinderrechtskonvention: Bilanz und Ausblick. [online] http://www.bpb.de/apuz/32519/un-kinderrechtskonvention-bilanz-und-ausblick?p=all [11.02.19]
  • Weitendorf, Silke (2014): NIEMALS GEWALT oder: Es gibt Dinge, die man tun muss, sonst ist man kein Mensch sondern nur ein Häuflein Dreck!. In: Lindgren, Astrid (2017): NIEMALS GEWALT!. Hamburg: Oettinger

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