UN-Behindertenrechtskonvention - ein neues Verständnis von Behinderung

In diesem Beitrag stellt Daniel Fesser folgenden Text vor:

Degener, Theresia (2015): Die UN-Behindertenrechtskonvention – ein neues Verständnis von Behinderung; in: dies./Elke Diehl (Hrsg.): Handbuch der Behindertenrechtskonvention. Teilhabe als Menschenrecht – Inklusion als gesellschaftliche Aufgabe, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, S. 55-65, online unter: http://bidok.uibk.ac.at/library/degener-behindertenrechtskonvention.html.

Theresia Degener beschreibt in ihrem Artikel das neue Verständnis von Behinderung, den Hintergrund und die Entstehungsgeschichte der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), deren Inhalt, die Behinderung als Thema in der Geschichte der Vereinten Nationen, die Entwicklung vom medizinischen über das soziale zum menschenrechtlichen Modell von Behinderung und den internationalen Ausschuss zur Überwachung der Umsetzung der UN-BRK. Nachfolgend liegt der Fokus auf dem neuen Verständnis, dem Inhalt und der Entstehungsgeschichte.

Degener beschreibt den Perspektivwechsel bedingt durch die UN-BRK als bahnbrechend und stellt die Rekorde, welche die Konvention gebrochen hat, dar. Hierunter fällt, dass sie die erste Menschenrechtskonvention im neuen Jahrtausend war, zusätzlich die einzige Menschenrechtskonvention in der Geschichte der UN, die in kürzester Zeit von der größten Anzahl von Staaten unterzeichnet wurde. Des Weiteren wurde ein neues System nationaler Überwachung etabliert und die Entwicklungspolitik wurde zur Menschenrechtsfrage erklärt. Außerdem wurde erstmalig ein neues Modell von Behinderung kodifiziert: „das menschenrechtliche Modell“.

Die Entstehung der UN-BRK begann bereits am 19. Dezember 2001 auf Anraten Mexikos. Mit der Resolution 56/168 wurde ein beratender Ausschuss (auch Ad-hoc-Ausschuss genannt) initiiert, um Vorschläge für eine Behindertenrechtskonvention auszuarbeiten. Diesem Ad-hoc-Ausschuss waren bereits diverse Forderungen von unterschiedlichen Organisationen der Behindertenbewegung vorangegangen.

Die Finalisierung der UN-BRK fand von 2002 bis 2006 statt und wurde in acht mehrwöchigen Sitzungen mit allen 193 Mitgliedsstaaten debattiert. Ebenfalls haben diverse Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO), das Kinderhilfswerk (UNICEF), nationale Menschenrechtsinstitute sowie NRO (Nichtregierungsorganisationen) partizipiert und Vorschläge eingebracht.

Die Verhandlungen gestalteten sich besonders schwer, da unterschiedlichste politische, kulturelle und religiöse Ansichten der teilnehmenden Staaten aufeinandertrafen. Zudem war das Mitwirken der Vertreter*innen der Zivilgesellschaften immens und obwohl nur die Staatsvertreter*innen ein Stimmrecht hatten, stellte dies ein Novum in der Geschichte der Menschenrechte dar. Die Maxime der Behindertenbewegung war: „Nichts ohne uns über uns.“

Schon der Erarbeitungsprozess des ersten Entwurfs der UN-BRK machte klar, dass es zu unterschiedlichen Konflikten kommen kann, welche auch bei allen weiteren Sitzungen des Ad-hoc-Ausschusses relevant werden würden. Die erste der vier Konfliktlinien beschrieb die rechtliche Handlungsfähigkeit von Menschen mit Behinderung. So forderte die Arbeitsgruppe des Ad-hoc-Ausschusses den Paradigmenwechsel von der Stellvertretung zur assistierten Entscheidungsfindung, allerdings konnte hier zunächst kein Konsens gefunden wurden.

Der zweite Konfliktpunkt behandelte das Thema der Zwangsbehandlung und der Institutionalisierung. So herrschte vor allem Uneinigkeit in der Frage, wie explizit Zwangsbehandlung und Institutionalisierung verboten werden sollten. Der dritte Konfliktbereich wurde bereits angesprochen und behandelt den Umgang mit den unterschiedlichen sozialen, religiösen und kulturellen Werten. Hierbei standen sich vor allem unterschiedliche Verbote und die unterschiedlichen Wertevorstellungen der Mitgliedsstaaten gegenüber.

Die letzte Konfliktlinie behandelt die Bereiche der Inklusion und der Segregation. Generell war die Bereitschaft zur Inklusion gegeben, allerdings gab es Uneinigkeit in den Bereichen Bildung und Arbeit. So wurde beispielsweise im Bereich der Arbeit darüber debattiert, ob Werkstätten für Menschen mit Behinderung als eine Alternative zum ersten Arbeitsmarkt gesehen werden sollten.

Trotz vieler Uneinigkeiten kann die UN-BRK als durchweg positiv bewertet werden. Vor allem der menschenrechtliche Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik war ein Novum, welches besonders wichtig war und ist.

Die Grundlage der UN-BRK bilden zwei völkerrechtliche Verträge: das "Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" (BRK) und ein Fakultativprotokoll (FP), das besondere Verfahrensarten im Zusammenhang mit der Umsetzung der Konvention enthält. Degener beschreibt die Inhalte der UN-BRK und geht auf den „ganzheitlichen Ansatz des Menschenrechtsschutzes mit staatlichen Achtungs-, Schutz- und Gewährleistungspflichten“ ein.

Zudem beschreibt sie den Verfügungsbereich der UN-BRK, welcher vorrangig für Menschen mit Behinderung gilt. Allerdings wird der Personenkreis nicht genauer definiert, was die Gruppe der Betroffenen der UN-BRK sehr groß werden lässt. So zählen „Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können“ dazu.

Das grundlegende Ziel der UN-BRK ist keine Schaffung von „neuen“ Menschenrechten oder Sonderrechten für Menschen mit Behinderung, sondern eine Anpassung des Menschenrechtskatalog im Kontext der Behinderung.

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