UN und Menschenrechte nach 75 Jahren

In diesem Beitrag stellt Lisa Schindler folgenden Text vor:

Birkenkötter, Hannah / Heemann, Lisa (2020): Menschenrechte und 75 Jahre Vereinte Nationen; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 20/2020, online unter: https://www.bpb.de/apuz/309082/menschenrechte-und-75-jahre-vereinte-nationen.

Der Aufsatz ist in der Zeitschrift „Aus Politik und Zeitgeschichte“ (APuZ) erschienen, die von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) herausgegeben wird. Das Erscheinungsjahr 2020 ist insofern besonders, als es das 75-jährige Bestehen der Vereinten Nationen markiert. Inhaltlich wird entsprechend ein Rückblick vorgenommen – und zwar auf die Entwicklung eines der bedeutendsten Pfeilers der Weltorganisation: Menschenrechte.

Der Artikel untergliedert sich in mehrere Abschnitte. Diese werden in leicht veränderter Form auch im Folgenden zur Strukturierung genutzt, wobei zuerst der zeitliche Verlauf der Entwicklung der Menschenrechte skizziert und anschließend die zum Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels aktuellen Problematiken sowie die angebotenen Lösungsvorschläge vorgestellt werden.

1950er Jahre

Neben Frieden und Entwicklung sind die Menschenrechte die entscheidende Größe in der UN-Charta und werden in Artikel 1 und 3 genannt. Allerdings fehlt ein eigener Rechtskatalog. Ein entsprechender Vorschlag wurde 1945 zugunsten der Gründung der UN-Menschenrechtskommission nicht weiter verfolgt. Ihrer Aufgabe, ein verbindliches Regelwerk und Maßnahmen zu dessen Umsetzung zu erarbeiten, kam die UN-Menschenrechtskommission 1948 nach, indem sie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) verabschiedete, die bis heute Bestand hat.

Fast zwei Jahrzehnte später folgten der Internationale Menschenrechtspakt über politische Rechte, auch Zivilpakt genannt, und der Internationale Menschenrechtspakt über wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte, kurz Sozialpakt. Die Verzögerung beruht auf den Schwierigkeiten im Zusammenhang mit dem Ost-West-Konflikt. Außerdem in den 1950er Jahren etabliert wurde der sogenannte advisory services in the field of human rights, wobei seine Umsetzung in Form der Entsendung von Menschenrechtsexpert*innen, Stipendienprogrammen und regelmäßigen Seminaren der Zustimmung der tangierten Mitgliedstaaten bedurfte und entsprechend eingeschränkt war.

1960er bis 1980er Jahre

Wesentliche Fortschritte brachten die 1960er Jahre. Neben der Einrichtung der bis heute bestehenden Möglichkeit von Sonderverfahren, die sowohl die Berichterstattung durch unabhängige Expert*innen zulassen als auch über die Befugnis verfügen, die Beschwerden von Einzelpersonen zu verwerten, wurde die erste Weltmenschenrechtskonferenz durchgeführt (1966) und ein Übereinkommen gegen Rassendiskriminierung geschlossen (1965).

Gemeinsam mit den beiden Menschenrechtspakten führte dieses zu der Bildung der ersten Vertragsausschüsse, die, besetzt mit weisungsungebundenen Expert*innen, für spezifische Empfehlungen zur Umsetzung der entsprechenden Verträge, zur Untersuchung von Beschwerden und zur Herausgabe allgemeiner Empfehlungen und Kommentare zusammenkommen.

Im Lauf der Zeit folgten weitere Vertragsausschüsse: zur Frauenrechtskonvention 1979, zur Anti-Folterkonvention 1984, zur Kinderrechtskonvention 1989, zur Wanderarbeiterrechtskonvention 1990, zur Behindertenrechtskonvention und zur Konvention gegen das Verschwindenlassen 2006. Außerdem gegründet wurden nationale Menschenrechtsinstitutionen. Die Idee war bereits 1946 durch den Wirtschafts- und Sozialrat eingebracht worden, umgesetzt wurde sie 1978 allerdings nur in 29 Staaten. Erst nach einer Aufforderung an alle Staaten im Jahr 1993 kam es dazu, dass sich weitere nationale Menschenrechtsinstitutionen etablierten. Im Jahr 2020 waren es 114.

Nach Ende des Kalten Kriegs

Die Zeit nach Ende des Kalten Kriegs war von „Enthusiasmus“ und „Ernüchterung“ geprägt, wie es die Autorinnen ausdrücken. Zu ersterem zählen die zweite Weltmenschenrechtskonferenz 1993 in Wien, die erste Reform des damaligen Generalsekretärs Kofi Annan, durch welche die Menschenrechte ab 1997 zu einem Querschnittsthema in allen Arbeitsbereichen der Vereinten Nationen wurden, sowie die Verabschiedung des Romstatuts mit dem Beschluss der Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs 1998.

Ernüchternd war auf der anderen Seite die Ohnmacht der Vereinten Nationen in Bezug auf die Kriegsverbrechen auf dem Balkan, insbesondere dem Völkermord von Srebrenica. Das in Folge entwickelte Schutzprogramm ‚Responsibility to protect‘ wurde zwar 2005 durch alle Staaten anerkannt, institutionelle Durchsetzungsmechanismen waren und sind allerdings nicht ausreichend vorhanden.

Deutlich sichtbar wurde dies den Autorinnen nach im Zusammenhang mit dem Syrienkrieg und der Libanon-Intervention 2011. In den 1990er Jahren ebenfalls starker Kritik ausgesetzt war auch die UN-Menschenrechtskommission, insbesondere aufgrund ihrer zunehmenden Unfähigkeit, mit einem auf 53 Vertreter*innen angewachsenen Umfang zeitnah auf Menschenrechtsverletzungen reagieren zu können.

In der Folge ersetzte man das Organ durch den neugegründeten UN-Menschenrechtsrat, der nicht nur mehr Befugnisse besitzt, beispielsweise die sehr bedeutsame, regelmäßige Allgemeine Periodische Prüfung aller Mitgliedstaaten, sondern auch ein Unterorgan der UN-Generalversammlung ist. Weitere Vorwürfe befassten sich mit der über lange Zeit fortbestehenden mangelnden Einhaltung der durch die Vereinten Nationen selbst propangierten Standards, den Blockaden im UN-Sicherheitsrat sowie der unklaren Bindung von Wirtschaftsunternehmen an internationale Menschenrechte.

Aktuelle Entwicklungen

Die Autorinnen sprechen von einer „Krise des Multilateralismus“, die in jüngster Zeit aus vier Problemen der Vereinten Nationen bestehe. Das erste seien die nationalistischen Töne einzelner Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen und, wie im Fall der USA unter Donald Trump, ihr daraus hervorgehendes Verhalten.

Hinzu kämen die noch immer erfolgenden Brüche der eigenen Regeln, beispielweise in Bezug auf die Annexion der Krim durch Russland 2014 oder die Ermordung des iranischen Generals Qasem Soleimani durch die USA 2020. Darüber hinaus seien die Vereinten Nationen zwar unverzichtbar, aber in ihrer Fähigkeit zur Problemlösung durch das Veto-Recht im UN-Sicherheitsrat oft deutlich eingeschränkt.

Schlussendlich problematisch sei die Unterfinanzierung, die durch unpünktliche oder unvollständige Zahlungen der Mitgliedstaaten zustande käme und dazu führe, dass die Vereinten Nationen kurzfristig ihren Aufgaben nicht nachkommen könnten oder zum Jahreswechsel Sitzungen entfielen oder Gehälter nicht gezahlt werden könnten.

Durch die Probleme der Vereinten Nationen bereits in ihrer Glaubwürdigkeit gefährdet, stehen den Autorinnen zufolge auch die Menschenrechte selbst „unter Druck“. In vielen Staaten würden diejenigen, die die Menschenrechte verteidigen, angegriffen und Menschenrechtsorganisationen in ihrer Arbeit behindert. Außerdem forderten einige Staaten die Minimierung der Beteiligung menschenrechtlicher NGOs. Inhaltlich betroffen sei vor allem die Geschlechtergerechtigkeit, die durch rechtspopulistische Regierungen infrage gestellt würde und nicht nur auf globaler, sondern auch auf EU-Ebene zu unlösbaren Debatten führe. Insgesamt besonders besorgniserregend verhielten sich USA, China und Russland.

Ausblick

Die Vereinten Nationen verfügen über ein „umfassendes Netz“ an menschenrechtlichen Normen. Dazu zählen: die International Bill of Human Rights (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Internationaler Pakt über politische Rechte, Internationaler Pakt über wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte), sieben weitere Menschenrechtsverträge mit Zusatzprotokollen und eine Vielzahl an Erklärungen, Resolutionen, Mindeststandards und Grundprinzipien sowie ein dazugehöriges institutionelles Gefüge.

Obwohl laut den Autorinnen die Mehrheit der Mitgliedstaaten die Menschenrechte unterstützt und fördert und viel erreicht worden ist, was vor 75 Jahren zur Gründung der Vereinten Nationen noch undenkbar gewesen wäre, halten Birkenkötter und Heemann es für zentral, eine Vision für die kommenden 25 oder besser 50 Jahre zu entwickeln. Diese sähe international die stärkere Bündelung von institutionellen Prozessen sowie die bessere Kooperation innerhalb der Vereinten Nationen und national die entschiedenere Unterstützung der Menschenrechtsvertreter*innen vor.

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