Ideen-, Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

In diesem Beitrag stellt Judith Holstein folgenden Text vor:

Kotzur, Markus (2008): 60 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – Reflexionen zur Entstehungsgeschichte, Ideengeschichte und Wirkungsgeschichte; in: MenschenRechtsMagazin 2/2008, S. 184-196, online unter: https://publishup.uni-potsdam.de/opus4-ubp/frontdoor/deliver/index/docId/3419/file/mrm13_02_online_2009_09_15.pdf.

Zu Beginn geht Kotzur näher auf die Entstehungsgeschichte der Menschenrechte ein. Die Grundidee universeller Menschenrechte stammt von dem ehemaligen US-amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, der versuchte, den Kriegseintritt der Vereinigten Staaten in den Ersten Weltkrieg zu legitimieren. Diese Legitimation führte er auf die „Idee internationaler Menschenrechtsstandards“ (S. 186) zurück und betonte dabei vor allem das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“. Als institutioneller Rahmen sollte dafür der Völkerbund dienen, dieser scheiterte allerdings.

Franklin D. Roosevelt prägte innerhalb seiner Rede über die „Four Freedoms“ den Ausdruck der „Geißel des Krieges“, der wenige Jahre später in der Präambel der Charta der Vereinten Nationen festgeschrieben wurde. Die Four Freedoms, die unter anderem von den Idealen der Amerikanischen und Französischen Revolution geprägt waren, sind die Rede- und Meinungsfreiheit, zu der auch die Pressefreiheit zählt. Zudem gehören die Religions- Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Freiheit von (materieller) Not, sowie die Freiheit von Furcht und das Bedürfnis nach Sicherheit dazu ( vgl. S. 186 f.).

Diese Gedanken wurden während des Zweiten Weltkriegs von Nichtregierungsorganisationen aufgegriffen. Diese versuchten, „eine Menschenrechtsbewegung zu formen“ (S. 187). Die Debatte über die Menschenrechte dominierte auch die Konferenz von Dumbarton Oaks, die 1944 stattfand. Ziel dieser Konferenz war die Gründung einer „neuen Weltorganisation“. In der Konferenz von San Francisco wurden Formulierungen, die heute als prägend für die UN-Charta gelten, getroffen. Eine inhaltliche Aufnahme der Menschenrechte in ein eigenes Kapitel der UN-Charta fand allerdings immer noch nicht statt. Die Unterzeichnung der Weltpakte ereignete sich letztlich erst im Jahr 1966.

Die Grundeinsicht, die die internationale Gemeinschaft teilte, war, dass der Nationalstaat als „alleiniger Garant der Grund- und Freiheitsrechte seiner Bürger versagt und die Gefahr totalitärer Systeme von rechts wie von links nicht hatte bannen können“ (S. 187). Aus diesem Grund wurden der Menschenrechtsschutz von einer nationalen auf eine internationale Ebene gehoben. Des Weiteren wurde zusätzlich zu den Staaten dem Individuum eine Rolle in Bezug auf die Wahrung der Menschenrechte zugesprochen. Kotzur beschreibt dieses Verhältnis als ein „trianguläres“: „Staat - Einzelmensch - internationale Gemeinschaft“ (S. 188), das durch regionale Verantwortungsgemeinschaften erweitert werden kann.

Im Anschluss geht Kotzur auf die Ideengeschichte der Menschenrechte ein, die sehr weitreichend ist. Der Autor beschreibt den großen Einfluss der Gedanken der Französischen Revolution auf die Idee universeller Menschenrechte. Als Meilenstein nennt Kotzur die zweite Weltkonferenz für Menschenrechte im Jahr 1993. In der Wiener Deklaration und einem damit einhergehenden Aktionsprogramm „bekennen sich alle 171 Unterzeichnerstaaten einstimmig zur Universalität und gegenseitigen Interdependenz der Menschenrechte“ (S. 190). Der Autor beschreibt dies als „ein Stück ideengeschichtlicher Fortentwicklung des Menschenrechtsschutzes für das 21. Jahrhundert“ (ebd.).

Kotzur geht dann dazu über, die Wirkungsgeschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu beschreiben. Diese teilt er in drei Abschnitte auf. Der erste beinhaltet die Wirkungsgeschichte „als Geschichte erfolgreicher positivrechtlicher Fortschreibung“ (S. 190). Diesbezüglich nennt er die beiden großen Pakte des Jahres 1966, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Recht und den Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Des Weiteren führt er einige Einzelverträge wie beispielsweise das Folterverbot an. Viele dieser Pakte und Verträge seien weitgehender als nationale Verfassungstexte. Auch das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs bezeichnet Kotzur als „Kind der AEMR“ (S. 191).

Des Weiteren erläutert Kotzur, dass die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) das Versprechen der AEMR erfüllen sollte (vgl. S.191), da sie ihre „produktive Fortschreibung“ (ebd.) sei. Dasselbe gelte für die Banjul-Charta der Menschenrechte, die Bangkok Declaration und die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam, die alle wie die EMRK von der AEMR beeinflusst wurden.

Als zweites geht der Autor auf die Wirkungsgeschichte als „Globalisierungsgeschichte(n)“ (S. 191) ein. Hierbei beschreibt er zwei Aspekte mit hoher Relevanz für den internationalen Menschenrechtsschutz. Der erste bezieht sich auf die „zunehmende Machtkonzentration in der Verantwortungssphäre nichtstaatlicher „Gewalten“ oder Funktionseliten“ (S. 192). Dadurch werden neue Formen der Abhängigkeit sowie eine Gefährdung der Integrität und Autonomie von Individuen begründet.

Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Verringerung der „klassisch nationalstaatlichen Handlungsspielräume“ (ebd.). Dies sei in verschiedenen Aspekten der Vorsorge potenziell kritisch zu sehen. Somit sei das Individuum in letzter Konsequenz darauf angewiesen, dass „Staaten und Gesellschaften in internationaler Kooperation“ (S. 193) Grundbedingungen in allen Lebensbereichen schaffen, die die Realisierung der Freiheitsrechte schaffen.

In einem dritten Punkt beschreibt Kotzur die Wirkungsgeschichte der Menschenrechte als „Geschichte fortschreitender Universalisierung der Menschenrechte“ (S. 193). Er erläutert, dass die Universalität der Menschenrechte „kulturelle Stückwerkreform“ (ebd.) sei, da sie verschiedene (Legitimierungs-)Phasen durchlief. Somit seien die Erfahrungen von Unrecht und Gefahr, die sowohl „vorstaatlich“ (S. 194) und „überstaatlich“ (ebd.) existieren, jene, die innerhalb von Prozessen „das Ideal universeller Menschenrechte ... zu realisieren helfen“ (ebd.). Diese Prozesse laufen stetig weiter. Konturiert werden sie durch die Verankerung im internationalen und nationalen Recht.

Der Autor weist darauf hin, dass Universalität zwar gelte, Universalitätsansprüche sich aber „erst Geltung verschaffen“ (S. 195) müssen. Der Prozess des „Geltung-Verschaffens“ dürfe allerdings nicht zwanghaft verlaufen und die Maximen der AEMR dabei nicht verletzt werden.

Martin Kotzur schließt, indem er die AEMR als „Epilog des San-Francisco-Prozesses und Prolog des universalen Menschenrechtsschutzes“ (S. 196) bezeichnet. Durch die Metapher macht er darauf aufmerksam, dass „weitgehend(e) textliche Konkretisierung“ (ebd.) und Protagonisten, „die ihre großen Textgehalte wirkungsmächtig lebendig halten“ (ebd.), notwendig sind.

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