Frieden und Vereinte Nationen

In diesem Beitrag stellt Samuel Schaumann folgenden Text vor: 

Gareis, Sven Bernhard (2019): Frieden und Vereinte Nationen; in: H.J. Gießmann / B. Rinke (Hrsg.): Handbuch Frieden, Springer, S. 741-751, online unter: https://doi.org/10.1007/978-3-658-23644-1_55.

Der Artikel aus dem Handbuch thematisiert die Geschichte der Friedenssicherung als zentrales Anliegen der Vereinten Nationen. Dabei liegt ein besonderes Augenmerk auf dem historischen Gestaltungsauftrag der UNO, den diesbezüglichen Hindernissen und Mängeln sowie auf den vieldiskutierten Fragen zu Reformen der Vereinten Nationen.

Gareis hebt zunächst die einzigartige Ausrichtung der Vereinten Nationen auf die Schaffung und Bewahrung des internationalen Friedens hervor, deren vorrangige Bedeutung bereits in der Charta der Vereinten Nationen, namentlich in der Präambel und durch das Allgemeine Gewaltverbot in Artikel 2 deutlich wurde. Außerdem beschreibt er einleitend eine besondere Verantwortung der UNO für den Frieden, welche aus ihrer exklusiven Stellung als Internationale Organisation mit 193 Mitgliedsstaaten und universalem Geltungsanspruch ihrer Prozesse und Normen abzuleiten ist.

Dass die Vereinten Nationen jedoch bei dem Versuch, dieser Verantwortung gerecht zu werden, immer wieder mit Problemen konfrontiert sind, klingt bereits zu Beginn des Textes an. So skizziert Gareis eine grundlegende Spannung innerhalb der intergouvernementalen Organisation zwischen den Vorgaben und Forderungen der Organisation auf der einen Seite und der Souveränität der Staaten andererseits. Dabei sind die Vereinten Nationen und deren Entwicklung in besonderem Maße abhängig von ihren Mitgliedstaaten, denn die VN sind nur so stark und effektiv, wie es die Staaten zulassen. Außerdem benennt der Autor die fehlende begriffliche Ausgestaltung des „Friedens“ in der Charta als problematischen Aspekt in Prozessen der Friedenssicherung.

Die Charta stellt die normative Basis für eine friedliche internationale Ordnung dar und dient als Orientierung bei konkreten Friedensbemühungen sowie bei der Feststellung von einschlägigen Verstößen. Als Lehre aus der Geschichte des gescheiterten Völkerbundes wurde zur Überwachung und Durchsetzung der Vorschriften ein kollektives Sicherheitssystem geschaffen, welches zum einen die Staaten zur friedlichen Beilegung von Konflikten verpflichtet und des Weiteren bei Verstößen gegen das Allgemeine Gewaltverbot gemeinsames Handeln gegen die regelverletzenden Akteure einfordert.

Als überwachendes Hauptorgan der UNO hat der Sicherheitsrat entsprechende Befugnisse zur Durchsetzung der Vorschriften, so kann er unter bestimmten Voraussetzungen selbst in die Hoheitsrechte von Mitgliedstaaten eingreifen. Eine weitere Lehre aus der von gewaltvollen Konflikten geprägten Geschichte ist laut Gareis die neue Orientierung des Völkerrechts an internationaler Kooperation mit der Formulierung einer souveränen Gleichheit aller Mitgliedstaaten, was die Staaten zur gegenseitigen Achtung verpflichtet.

Wie der Autor ausführlich beschreibt, ist das angestrebte Ziel der Vereinten Nationen keine bloße Abwesenheit von Krieg, sondern ein „positiver Frieden“, welcher auch die Verwirklichung grundlegender Menschenrechte und gute sozio-ökonomische Bedingungen für alle Menschen beinhaltet. So wird im Text auf den Zielkatalog in Artikel 1 der UN-Charta verwiesen, in dem auch Menschenrechte, Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit Erwähnung finden.

Daraus abgeleitete Maßnahmen zur Formulierung und Umsetzung von Menschenrechten und zur Entwicklung, wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und das Konzept der Internationalen Schutzverantwortung, stellten den Menschen als Subjekt des Völkerrechts in das Zentrum der Bemühungen und ergänzten die klassische staatliche Sicherheit um einen Entwurf "menschlicher Sicherheit".

Das klassische peacekeeping der Vereinten Nationen in den Jahren 1948-1988 wird als erster Entwicklungsschritt der Friedenssicherung durch die UNO skizziert. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges und der damit einhergehenden Blockade-Situation im Sicherheitsrat war das kollektive Sicherheitssystem der UNO nur begrenzt funktionsfähig, was zur Entwicklung einer peacekeeping-Strategie auf der Grundlage einer Einigung der Konfliktparteien führte.

Die Blauhelme fungierten im Auftrag der Vereinten Nationen als unparteiische Beobachter in Kriegsgebieten, um die Einhaltung von Waffenstillständen oder Friedensabkommen zu überwachen. Gareis würdigt dieses peacekeeping rückblickend als „durchaus erfolgreiches Instrument der Konfliktnachsorge“ (S. 745), welches sich überdies auch nach 1989 in mehreren Missionen als zweckdienlich erwiesen habe.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges fand eine Verlagerung des Konfliktgeschehens statt. An die Stelle der klassischen zwischenstaatlichen Kriege traten immer häufiger innerstaatliche Konflikte, sogenannte „neue Kriege“, mit zahlreichen Akteuren aus verschiedenen Bereichen, die diverse Interessen verfolgen. Besonders in bereits fragilen Staaten werden in derartigen Konflikten oftmals staatliche und gesellschaftliche Strukturen zerstört und Entwicklungsdefizite sowie allgemeines Gewaltpotenzial von langer Dauer ausgelöst.

Die daraus resultierenden neuen Aufgaben und Herausforderungen für die Bemühungen der Vereinten Nationen bezüglich der Friedenssicherung wurden bereits im Jahr 1992 vom damaligen Generalsekretär Boutros-Ghali konzeptionell erfasst und haben bis heute Gültigkeit. Vor dem Hintergrund dieser neuen Ausgangslage im Bereich der internationalen Friedenssicherung baute der Sicherheitsrat seine Kompetenzen im Bezug auf innerstaatliche Vorgänge aus und machte sich damit frei vom Gebot der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten, welches in Artikel 2 der VN-Charta festgeschrieben war. So bestand nun beispielsweise die Möglichkeit zur Untersuchung und Sanktionierung von Bürgerkriegen und Menschenrechtsverletzungen.

Die „neuen Kriege“ verlangen komplexe Friedenseinsätze, die neben der Friedenssicherung auch immer Maßnahmen zur Friedenskonsolidierung beinhalten. Wie Gareis beschreibt, müssen politische und ökonomische Strukturen wieder aufgebaut werden, Menschenrechte geschützt und Perspektiven für Betroffene geschaffen werden, was die Beteiligung der Unterorganisationen der UNO und auch die Kooperation mit regionalen Internationalen Organisationen notwendig macht. Diese vielseitigen Friedenseinsätze werden dem breiten positiven Friedensverständnis der Vereinten Nationen, zumindest in der Theorie, gerecht, obgleich in der praktischen Umsetzung eine Vielzahl an Problemen und Hindernissen auftreten.

Gareis beschreibt als grundlegende Schwierigkeit der Vereinten Nationen die bereits angesprochene Abhängigkeit von den Mitgliedstaaten, welche er auch als ursächlich für immer wieder auftretende Mängel der UNO im Aufgabenbereich der Friedenssicherung beschreibt. So nennt er unklare Mandate mit unzureichenden Mitteln zur Durchführung als Folge von differenten Einschätzungen von Konfliktsituationen durch verschiedene Staaten.

Des Weiteren beschreibt er konträre Interessen unter den Mitgliedern des Sicherheitsrates, was dazu führe, dass notwendige Handlungen der UNO unterlassen werden. Ein weiterer Kritikpunkt ist die geringe Unterstützung von Friedensmissionen durch Mitgliedstaaten, in deren Zuständigkeitsbereich die Ausbildung, Ausstattung und Disziplin der Friedensschützer liegt. Außerdem werden Entscheidungen und Handlungen in vielen Fällen durch übergeordnete Interessen der einzelnen Staaten verzögert oder verhindert.

Notwendig seien Reformen, welche den Sicherheitsrat repräsentativer machen und somit dessen Entscheidungen stärker legitimieren. Dies werde jedoch durch nationale Interessen der Staaten seit langer Zeit verhindert. Daraus folgert Gareis mit einer nüchternen Prognose, dass anstelle von umfassenden Reformen wohl weiterhin kleine schrittweise Entwicklungen die Vereinten Nationen prägen.

Als wichtigen Auftrag für die Zukunft der Vereinten Nationen formuliert der Autor, dass der internationale Frieden stärker als kollektives Gut der Menschheit mit der damit einhergehenden Verantwortung der Staaten begriffen werden müsse. Er resümiert, die UNO habe die notwendigen Mittel zum erfolgreichen Einsatz für den weltweiten Frieden, jedoch sei auch der Wille zu deren Anwendung unverzichtbar.

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