Überblick über die Entwicklung der Vereinten Nationen

Liebe KommilitonInnen, Herr Müller hat uns in der heutigen Mail darum gebeten, ggf. auch Zusammenfassungen der Pflichtlektüre hier einzustellen. Dies ist meine Zusammenfassung der 1. Sitzung vom 27.04.2020, welche einen groben historischen Überblick bieten soll (Textgrundlage: Gareis/Varwick, S. 19-44)

1. System der VN
  • VN wurden am 24.10.1945 gegründet
  • Rolle der VN ist bis heute in internationaler Politik nicht ganz eindeutig und benötigt wohl auch stetig Reformen aufgrund der zum Teil sehr mächtigen Mitgliedsstaaten
  • VN spielt eigentlich bei allen globalen Problemen eine Rolle
  • Staaten der VN verpflichten sich, Kriege zu verhindern (= Frieden zu wahren) und humane Lebensbedingungen zu gewährleisten
  • Mitgliedsstaaten: 50 Gründungsstaaten (+ Polen); heute 193 Staaten
  • neue Themen/Aufgabenbereiche, Organe, Organisation und Programme wurden geschaffen
  • starker Zuwachs an Mitgliedern durch Ende des O-W-Konflikts und Entkolonialisierung
  • „Alle friedliebenden [und souveränen] Staaten“ können Mitglied werden („friedliebend“ = sehr ambivalenter Begriff)
  • Aufnahme von Staaten erfolgt auf Empfehlung des SR und durch Beschluss der GV
  • VN-System = Institutionen und Kooperation rund um die Hauptorgane der VN:
    (1) Organe, welche durch die VN selbst geschaffen wurden; sind z.B. dem ECOSOC zugeordnet
    (2) Sonderorganisationen, die durch Abkommen mit den VN verbunden sind
    + viele weniger formalisierte Partnerschaften. (s. ECOSOC mit ca. 3500 NGOs)
  • Probleme: Unübersichtlichkeit, Redundanz und Ineffizienz

1.1 Eine kurze Geschichte der Vereinten Nationen

(1) Gründungsphase 1941-1945:
  • Lehren aus dem Völkerbund: genauere normative Bestimmungen, Aufgaben der Organisation genauer bestimmen, große Mächte müssen ständige Mitglieder sein
  • USA und GB: Atlantik-Charta
  • 26 weitere Staaten schließen sich an
  • Mitglieder verpflichten sich, Allianz gegen D, I und J zu unterstützen (noch keine Aussage über Schaffung einer neuen Institution!)
  • Vorschläge von Churchill zu Regionalräten (z.B. für Asien und Europa) wurden abgelehnt, stattdessen setzte sich 1943 eine Institution mit dem SR als zentralem Element durch
  • entwickelt wurde dies von den „vier Welpolizisten“ USA, GB, SU und China; Frankreich wurde kurze Zeit später als ständiges Mitglied hinzugezogen
  • Jalta-Formel: Veto-Recht der fünf ständigen Mitglieder wurde eingeführt; Menschenrechte konnten wegen Widerspruch Stalins nicht in Charta aufgenommen werden.
  • VN-Charta (24.10.1945) = bemerkenswerter Kompromiss in der Endphase des 2. WK gelungen; Problem: Regeln konnten kaum auf ständige Mitglieder angewendet werden (führte im Kalten Krieg zu einer Blockade)
(2) Aufbruch und Stagnation im Kalten Krieg 1945-1954
  • 1948 "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" durch die GV
  • VN übernahmen z.T. Arbeitsgremien des Völkerbundes
  • VN-Hauptquartier ab 1952 in New York
  • SR wurde ständig von Veto(-Drohungen) begleitet, da USA und SU ständige Mitglieder waren; in der Generalversammlung setzte sich i.d.R. das westliche Lager durch
  • bis 1955 gab es kaum Zuwachs an Mitgliedern: Keines der beiden Lager wollte Zuwachs an „feindlichen“ Ländern und so wurden nur sehr wenige neutrale Staaten aufgenommen
  • 1948 und 1949 gab es schon erste Friedensmissionen in Kaschmir und im Palästina-Konflikt
  • Korea-Krieg: SR nimmt Resolution gegen Nordkorea an, SU boykottiert diese Sitzung aufgrund von China/Taiwan-Konflikt; SR beschließt gewaltsames Vorgehen gegen Nordkorea, bis SU am 01.08.1950 Veto einlegte
  • Generalversammlung verabschiedet am 03.11.1950 „Uniting for Peace-Resolution“ auf Initiative der USA: Im Falle einer Angriffshandlung, bei der der SR seiner Verantwortung nicht gerecht wird, wird die Frage von der Generalversammlung behandelt und es werden Empfehlungen für Kollektivmaßnahmen (inkl. Waffengewalt) abgegeben. (Recht auf Empfehlung der Generalversammlung ist heute unstrittig); USA versuchte so, SU im SR umgehen zu können, es blieb allerdings nur beim Recht auf Empfehlungen
(3) Dekolonisation und das Entstehen der „Dritten Welt“ 1955-1974
  • Tod Stalins; Folge: Wiederannäherung und Überwindung der Stagnation; insgesamt entspannteres Klima und Mitgliederzahl vermehrte sich viel schneller
  • Dekolonisation kam in Gang und entwicklungspolitische Organe wurden gegründet
  • „Dritte Welt“ entsteht mit der „NAM“-Gruppe; 120 afro-asiatische Staaten schließen sich zusammen: Generalversammlung kann nun nicht mehr an ihnen vorbei entscheiden
  • 1971 Generalversammlung erkennt Volksrepublik China an, Sitz im SR geht von Taiwan an VR China über
  • Suez-Krise: Erste Friedenstruppe (als Puffer zwischen Konfliktparteien) wurde auf Grundlage der „Uniting for Peace-Resolution“ entsendet, da GB und Frankreich Resolutionsentwürfe im SR blockiert haben und an ihren Kampfhandlungen festgehalten haben, d.h. erster „Blauhelmeinsatz“
  • Kongo-Operation: Erste Krise einer VN-Friedensmission, denn der Konflikt entwickelte sich zu einem Bürgerkrieg und ein Teil der VN-Mitglieder stoppten in der Folge Beitragszahlungen
  • allgemein konnten die VN die Krisen rund um den Kalten Krieg nicht beeinflussen, da die USA und die SU den SR mit ihrem Vetorecht blockierten, somit konnten die VN nicht zwischen den Supermächten vermitteln
(4) Nord-Süd-Konflikt 1975-1984
  • Frage nach gerechter Weltwirtschaftsordnung stand im Vordergrund; Ausgleich der Interessen von Industriestaaten und Entwicklungsländer
  • Entwicklungsländer waren in der GV zahlenmäßig überlegen (wurde von westlichen Staaten kritisiert und die USA setzten in der Folge sogar Pflichtzahlungen aus)
  • 1974-1979 neue Blauhelmmission in Israel
  • Invasion der SU in Afghanistan zeigte den VN wieder ihre Grenzen auf, denn der SR war wieder durch das Vetorecht gelähmt und machtlos
(5) Renaissance, Krise und Reformbemühungen 1985-heute
  • Annäherung der Supermächte und damit Stärkung des SR; Veto wurde nicht mehr grundsätzlich eingelegt
  • Anzahl der Friedensmissionen stieg mit Anzahl der Konflikte nach dem Ende des O-W-Konflikts
  • Weltkonferenzen zu Fragen wie Frauenrechte, Umweltschutz etc.; Entwicklung in Richtung einer multilateralen Weltordnung
  • Kosovo-Konflikt war ein Rückschlag: NATO ging ohne VN-Mandat gegen Jugoslawien vor
  • Reformen der VN wurden in den 2000er nicht wirklich von Regierungschefs unterstützt, auch wenn einige wenige organisatorische Schritte (z.B. Einsetzung des Menschenrechtsrats, Streichung der Feindstaatenklausel) durchgeführt werden konnten; es wurden nur nicht-bindende Absichtserklärungen verabschiedet
  • Relevanz der VN wird durch zunehmende Bedeutung anderer multilateraler Gemeinschaften (z.B. NATO) bedroht; Zuwachs an regionalen Gemeinschaften ist unter anderem Folge von langwierigen Entscheidungsprozessen innerhalb der VN
  • Problem: Reformen benötigen 2/3-Mehrheit aller Mitgliedsstaaten und die Zustimmung aller Veto-Mächte (= 5 ständige Mitglieder des SR); Reformen bedeuten meist Machtverlust für Veto-Mächte und deshalb sind diese nur sehr schwer durchzusetzen. 

1.2 Die Charta der Vereinten Nationen: Ziele und Grundsätze

Die Charta der VN wurde 1945 von 51 Staaten unterzeichnet und ist das Gründungsdokument der Organisation. Sie war die Antwort auf den gescheiterten Völkerbund. Die Ausarbeitung bzw. Einigung war nur möglich, da die Großmächte ihre eigenen Interessen und die Auffassungsunterschiede hintangestellt haben und die Mitgliedsstaaten nicht auf dem Idealbild der Gleichberechtigung beharrten.

Mit der VN-Charta ist eine Art „Verfassung der Weltgemeinschaft“ entstanden, welche ein völkerrechtliches Fundament und einen organisatorischer Rahmen für alle folgenden Konflikte geboten hat, auch wenn die Rechtslage (Verbindlichkeit und Folgen bei Verstößen) zum Teil unklar ist. 111 Artikel in 19 Kapiteln regeln das Verhalten der Staaten untereinander und binden auch die Innenpolitik an Regeln, legen die Kompetenzen der VN-Organe dar und grenzen die Zuständigkeiten klar ab. Die Ziele der VN werden in Artikel 1 dargestellt:
  • Weltfrieden und internationale Sicherheit wahren und Streitigkeiten durch friedliche Mittel nach den Grundsätzen von Gerechtigkeit und dem Völkerrecht lösen
  • Achtung der Gleichberechtigung, Selbstbestimmung der Völker und auf dieser Grundlage Beziehungen aufbauen
  • Internationale Zusammenarbeit soll Probleme lösen und Menschenrechte sowie Grundfreiheiten aller fördern; 1948 verabschiedete die GV die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
  • Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung, denn Frieden ist untrennbar mit Entwicklung verbunden
Grundsätzlich ist das Hauptziel der VN die Wahrung des Friedens und alles andere hat diesem zu dienen. Der Friedensbegriff unterliegt in der VN-Charta einer sehr breiten Auffassung (nicht nur Abwesenheit von Krieg, sondern auch Verwirklichung von Menschenrechten, soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz usw.) (s. Artikel 1). So sagte der amerikanische Außenminister Edward Stettinius: „Der Kampf für den Frieden muss an zwei Fronten geführt werden. An der einen Front geht es um Sicherheit und an der anderen geht es um Ökonomie und soziale Gerechtigkeit. Nur ein Sieg an beiden Fronten wird der Welt einen dauerhaften Frieden bescheren.“ Ein passendes Schaubild findet ihr unter: http://www.dadalos-d.org/uno/grundkurs_1.htm

Artikel 2 der Charta legt die Grundsätze fest, nach welchen die Ziele erreicht werden sollen:
  • Gleichheit aller Mitglieder, Souveränität der Staaten
  • Erfüllung der Verpflichtungen nach „Treu und Glauben“
  • Verpflichtung zu friedlicher Streitbeilegung (= allgemeines Gewaltverbot)
  • Verbot der Gewaltandrohung
  • Beistandspflicht für Maßnahmen der Organisation
  • auch Nichtmitglieder werden nach Grundsätzen der Charta behandelt
  • kein Eingreifen in innerstaatliche Angelegenheiten (=Interventionsverbot), außer es gibt eine Gefährdung des Weltfriedens
Das allgemeine Gewaltverbot ist eine Lehre aus dem gescheiterten Völkerbund, welcher Krieg nur teilweise untersagte. Laut VN-Charta bedarf die Gewaltanwendung einer besonderen Legitimation, nämlich das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht sowie die vom SR angeordneten militärischen Maßnahmen bei Friedensbedrohungen. 

Übersicht: System der Vereinten Nationen: Ein passendes Schaubild findet ihr unter: https://unric.org/de/das-un-system/

Literatur: Gareis, Sven Bernhard / Varwick, Johannes (2014), Die Vereinten Nationen. Aufgaben, Instrumente und Reformen, 5. Aufl., Verlag Barbara Budrich.

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